Gedenken zum Volkstrauertag 2022
Anlässlich des Volkstrauertags kamen am Sonntag, dem 13. November, Vertreter aus Verwaltung, Politik und Gesellschaft zusammen, um gemeinsam aller Opfer von Gewalt zu gedenken. Im "Wäldchen", der Gedenkstelle der Opfer des Internierungslagers Ketschendorf wurde von Konrad Kuhn, Mitglied des Vorstands der "Initiativgruppe Internierungslager Ketschendorf/Speziallager Nr. 5 e. V." unten stehende Rede gehalten.
Liebe Betroffene und Angehörige,
liebe Weggefährten beim Erinnern,
sehr geehrte Vertreter von Stadt und Kreis,
sehr geehrte Damen und Herren,
„Luftalarm fast in der gesamten Ukraine“, „Fast 800 russische Soldaten an einem Tag getötet“1,
„Deutschland: Eine Million ukrainische Flüchtlinge“2 … Diese und ähnliche Meldungen
erreichen uns seit Wochen und Monaten, seit die Russische Föderation im Februar dieses
Jahres ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine begann.
Die erste offizielle Feierstunde im Reichstag der Weimarer Republik vor genau 100 Jahren
etablierte die deutsche Tradition des Volkstrauertages, zunächst in Erinnerung an die Millionen
Toten des ersten Weltkrieges, später der noch größeren Zahl der Opfer des zweiten
Weltkrieges. Jährlich mahnen und gedenken wir der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft,
von Massakern und Genoziden, von blindem Rassenhass und Verfremdung. Wir erinnern an
persönliche Schicksale in abstrakten Kämpfen um Staatsinteressen, in Glaubenskriegen, in
Schlachten politischer Ideologien.
Der nunmehr seit einem Dreivierteljahr andauernde Krieg in der Ukraine hat uns brutal
vergegenwärtigt, worunter die Menschen in Syrien, im Yemen, in Afghanistan, dem Irak, in
Libyen, Jugoslawien und an vielen anderen Konfliktherden der letzten Jahre und Jahrzehnte
litten und weiterhin leiden. Fast möchte man meinen, das Deutsche „Nie wieder!“ sei zur
Phrase verkommen. Dass dem nicht so ist, muss uns Verpflichtung und Mahnung sein und
bleiben und erfordert aktiven Einsatz und kontinuierliches Engagement, im Großen wie im
Kleinen.
Die genannten Konflikte sind Beispiele einer Welt, in der nach wie vor viel zu viele Menschen
Opfer von Krieg, Terrorismus und Blutvergießen werden. Die Zahl dieser Opfer ist
unüberschaubar. Jeder einzelne Tote hatte Familie und Freunde, die um ihn trauern. Im
Bewusstsein dieses persönlichen Schmerzes gewinnt auch der Volkstrauertag immer wieder
aufs Neue eine zentrale Bedeutung.
Die schrecklichen Folgen von Krieg und Konflikten, auch über ihr offizielles Ende hinaus,
zeigen sich gerade auch an diesem Ort: Hier, im „Wäldchen“, gedenken wir der mehr als 4.700
Menschen, die im sog. Sowjetischen Speziallager Nr. 5 ihr Leben ließen. Nicht nur NS-Funktionäre, Angehörige von SS und Gestapo oder Mitarbeiter des nationalsozialistischen
Staatsapparats wurden dort ohne Prozess oder Gerichtsurteil inhaftiert, auch Jugendliche,
politische Gegner, Unerwünschte und willkürlich Verhaftete. Über sie und die vielen Opfer des
Lagers wurde offiziell nicht gesprochen.
Das Unrecht des Verschweigens während der Zeit der DDR konnte erst in Folge der
umfassenden systemischen Veränderungen ab 1989 in ein anhaltendes, aktives Aufarbeiten
und Gedenken überführt werden. Ehemalige Inhaftierte, Angehörige und Interessierte haben
mit dieser Gedenkstätte einen Anlaufpunkt erhalten und Informationen zum Verbleib der Opfer
wurden und werden in durch die Initiativgruppe Internierungslager Ketschendorf bereitgestellt.
Es ist nicht nur gute Tradition, es ist uns Verpflichtung, zum Volkstrauertag an die Opfer zu
erinnern. Bereits gestern haben wir auf dem Waldfriedhof in Halbe Kränze und Blumen für die
4.499 dorthin umgebetteten Opfer niedergelegt. Heute nun tun wir dies hier in der
Gedenkstätte, im „Wäldchen“:
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Die Stadt Fürstenwalde wird vertreten durch Herrn Bürgermeister Rudolph und Herrn Stadtverordnetenvorsteher Koch.
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Der Landkreis Oder-Spree wird vertreten durch den ersten Beigeordneten, Herrn Gehm.
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Die Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur wird vertreten durch Frau von Eulenburg.
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Den Abschluss macht, wie üblich, die Initiativgruppe Internierungslager Ketschendorf.
Sehr geehrte Anwesende,
wir können den Frieden nur dann bewahren, wenn wir aktiv für ihn eintreten. Dies gilt in der
großen Perspektive der Weltpolitik ebenso wie im kleinen Rahmen unseres täglichen Lebens
und an Orten wie diesem, der Gedenkstätte Internierungslager Ketschendorf. Dieser Weg ist
schwierig, mühsam und voller Hindernisse. Aber dass er machbar ist, zeigen nicht zuletzt die
folgenden zwei Beispiele unserer jüngeren und jüngsten Vergangenheit:
Die Montagsdemonstrationen in der Deutschen Demokratischen Republik, die Genehmigung
der Ausreise der 4.000 DDR-Flüchtlinge aus der bundesrepublikanischen Botschaft in Prag
und der Fall der Mauer markierten den Anfang des Endes der DDR.
Nachdem bereits im Jahr 2015 Millionen Menschen in Folge des Syrienkonfliktes nach Europa
geflohen waren, wurden die hunderttausenden Ukrainerinnen und Ukrainer in diesem Jahr
bereitwillig, pragmatisch und mit offenen Armen aufgenommen, gerade auch bei uns im Raum
Berlin-Brandenburg. Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, welch bleibenden positiven
Eindruck dies in Ländern wie der Ukraine, zu denen im Vorfeld keine besonders enge Bindung
bestand, hinterlässt.
Und auch hier in Fürstenwalde macht sich unser Engagement bemerkbar: Die Dokumentation
der Geschichte rund um das Internierungslager Ketschendorf, die Geschichten der Menschen,
die dort inhaftiert waren und ihr Leben verloren und diejenigen, die heute noch von ihrer Zeit
im Lager berichten können und nicht müde werden, dies zu tun: Sie haben den Grundstein der
Erinnerung gelegt, der nun uns, der jungen Generation, Verpflichtung für die Zukunft ist. Denn
es ist wichtig, dass die Gesellschaft nicht vergisst, welch Unrecht ist und war, und dass es gilt,
auch in Zukunft dagegen aufzustehen.
Unsere gemeinsame Erinnerung am Volkstrauertag an die Millionen Toten der Kriege, an die
Opfer des Internierungslagers Ketschendorf, muss uns die persönliche Aufforderung sein,
täglich den Weg des Friedens zu gehen, auch und gerade vor dem Hintergrund aktiver Kriege
auf europäischem Boden.
Herzlichen Dank.
Bild zur Meldung: Gedenken zum Volkstrauertag 2022